Schlickrutschertour nordfriesische Inseln

75 Jahre Hansa-Jolle, so lautete der Titel des diesjährigen Deutschlandpokals der Klassenvereinigung auf der Außenalster. In Kooperation mit dem Norddeutschen Regatta Verein führten somit die Wege der Hansa-Jollen zu ihren Wurzeln zurück. Der NRV in Hamburg ist mit den Booten eng verbunden, da er in einem Dreiecks-Handel mit dem Tausch des 12er „Sphinx“ und mit dem bis dahin leider kaum verfügbarem Bootsbauholz die ersten Boote nach dem zweiten Weltkrieg bei A&R bauen ließ. Für Klaus Köster und mich mit unseren Hansa-Jollen „Kalypso“ und „Flyt“ war dies der ideale Start zu einer weiteren Schlick-Rutscher-Tour. 

2018 haben Klaus und ich gemeinsam mit einem anderen Hansa-Jollen-Segler die ostfriesischen Inseln erkundet. Auf der damaligen Fahrt ist eine erste Idee gewachsen, auch die nordfriesischen Inseln zu besuchen. Die Abgeschiedenheit und Unberührtheit des Reviers, die durchaus anspruchsvolle Navigation und der Reiz des Neuen waren dabei treibende Argumente. Im Vorfeld haben wir Seekarten studiert, mit erfahrenen Seglern gesprochen und erste Pläne geschmiedet. Zum Schluss stand das Datum Anfang August 2022 und der Abfahrtsort Hamburg fest. Alles andere sollte sich vor Ort ergeben.

Durch die Sände und Priele vor Friedrichskoog nah an der Küstenlinie Schleswig-Holsteins trauen wir uns nicht. Nachdem die Medem-Rinne im vergangenen Jahr wegen der anstehenden Elbvertiefung aufgeschüttet und viele Pricken eingezogen wurden, ist der Weg nur noch Ortskundigen zugänglich. Also bleibt nur die Route außen herum und damit der große Schlag über Helgoland. Uns ist klar, dass dies nur innerhalb eines passenden Wetterfensters möglich ist und wir deswegen genügend Zeit mitbringen müssen. Und sollten die Bedingungen zu schlecht sein, bleiben immer noch die vielen kleinen, schönen Orte entlang der Elbe und ihrer Nebenflüsse.

Hamburg, 01.08.2022

Am Montag nach der Klassenregatta verlassen wir um 07.00 Uhr den Hafen des NRV. Es herrscht eine besondere Stimmung auf der Alster. Die ersten Jogger umrunden das Gewässer, Ruderer trainieren in ihren Booten und ansonsten hört man nur gedämpft die Geräusche der langsam erwachenden Stadt. Unter Segeln gleiten wir bei wenig Wind Richtung Lombardsbrücke. Unmittelbar vor der Brücke legen wir den Mast und lassen uns die restliche Strecke von unseren Elekro-Außenborder antreiben. Vorbei an der noch ruhenden Wasserfontäne und dem imposanten Rathaus können wir direkt in die Rathausschleuse einlaufen. Die Schaartorschleuse als nächster Wegpunkt ist über unser Kommen bereits informiert und so werden wir ohne Wartezeiten direkt auf die Elbe entlassen. Im City-Sporthafen ist der Mast zügig wieder gestellt und mit dem Wechsel der Tide gegen 09.00 Uhr sind beide Boote startklar, um mit dem nun ablaufenden Wasser auf der Elbe Richtung Nordsee zu fahren.

Im Hafengebiet gilt das Rechtsfahrgebot auch für uns Segler, sodass wir nicht aufkreuzen dürfen und den ersten Teil bis Blankenese motoren. Da bleibt viel Zeit, um sich alles von der Wasserseite in Ruhe anzuschauen. Die schwankenden Landungsbrücken, der Alte Fischmarkt und die neuen Gebäude am Cruise Center Altona gleiten vorbei. Ein besonderer Gruß geht an den Museumshafen Oevelgönne. Leider ist unser Freund und dortiger Geschäftsführer Björn noch nicht an seinem Arbeitsplatz, sonst hätte es noch einen kurzen Schnack zum Abschied gegeben. Nachdem Blankenese und das gegenüberliegende Airbus-Werk passiert sind, ziehen wir die Segel hoch und kreuzen gegen den Westwind im Fahrwasser auf. Immer wieder gilt es der Berufsschifffahrt auszuweichen. Zwei Regeln haben sich mir dabei eingeprägt: „Groß vor Klein“ und „Stahl vor Holz“. Wir sind mit unseren beiden kleinen Holzjollen damit ganz hinten in der Reihe. Aber wir befahren die Elbe aus Vergnügen und nicht als Beruf. Das Aufkreuzen macht viel Spaß, die Boote schieben ordentlich Lage, bleiben aber trotz der größer werdenden Wellen innen trocken. Durch das Kreuzen verlängert sich aber gleichzeitig unsere zurückgelegte Wegstrecke und die damit benötigte Zeit, sodass unser eigentliches Ziel Glückstadt in weite Ferne rückt. Rechtzeitig vor Niedrigwasser beschließen wir auf Höhe Stadersand den ersten Teil der Fahrt abzuschließen und uns in der Schwinge beim Seglerverein-Stade einen Liegeplatz zu suchen. Von früheren Besuchen wussten wir, dass man dort mit Leihrädern eine schöne Tour ins Zentrum von Stade machen kann. Diese Planungsänderung wird nicht die Einzige bleiben. Wir werden unsere ursprünglichen Überlegungen während der nächsten Zeit noch mehrmals über den Haufen werfen. Aber genau das haben wir uns für unseren Törn vorgenommen. Es gibt eine Liste mit Ideen, aber die Planung erfolgt immer spontan und maximal für den nächsten Tag. Beim Kaffee und Torte direkt am historischem Hansehafen im Zentrum von Stade überlegen wir die weiteren Schritte. Für die Weiterfahrt wollen wir wieder die ablaufende Tide nutzen, um gut voran zu kommen. Gegenan zu segeln macht bei einer Strömung von bis zu vier Knoten keinen Sinn. Entweder wir fahren morgen sehr früh los, oder nutzen die zweite Tide des heutigen Tages für einen weiteren Segelschlag am Abend. Ab 18.30 Uhr könnte es losgehen. Die Sonne geht im Moment um 21.30 Uhr unter, womit wir es mit dem letzten Büchsenlicht bis Glückstadt schaffen müssten. Die Vorstellung, in die Abenddämmerung zu segeln, reizt uns sehr und somit sind wir noch am gleichen Tag ein zweites Mal auf der Elbe unterwegs. In der Einfahrt hinter die Rhinplatte am Radarturm vor Glückstadt wird es plötzlich eng. In den letzten Monaten hat sich dort eine Barre aufgebaut, die schon manchem Segler zum Verhängnis wurde. Die meisten Boote laufen inzwischen Glückstadt nur noch von Norden an, was einen erheblichen Umweg bedeutet. Mit unseren 50cm Tiefgang sollte es aber kein Problem sein, wenn wir uns nah am grünen Tonnenstrich unmittelbar am Turm halten. Nur genau dort liegt heute ein Baggerschiff, um alles wieder auf ausreichend Tiefe zu bringen. Erst ist uns nicht klar, auf welcher Seite wir passieren sollen bzw. dürfen. Aber der Kapitän ist nett zu uns und macht ein wenig Platz in der engen Rinne, sodass wir entspannt durchschlüpfen können. Hinter der Rhinplate kreuzen wir anschließend in traumhaft goldenem Abendlicht auf und erreichen unter Segeln den Hafen. Die Stadt wurde 1617 im Auftrag vom dänisch-norwegischem König Christian IV als Gegenpol zu Hamburg errichtet. Als Begründung für den Namen wird der Ausspruch von ihm überliefert: „Dat schall glücken und dat mutt glücken, und denn schall se ok Glückstadt heten!“ (Christian IV.) Wir machen dem Namen alle Ehre und sinken glücklich, müde aber mit einem Lächeln im Gesicht in unsere Kojen.

Glückstadt, 02.08.2022

Der nächste Morgen begrüßt uns sehr früh mit strahlend blauem Himmel. Der Wind steht optimal aus Südwest, sodass wir auf der gesamten Strecke bis Cuxhaven eine Backstagbrise haben werden. Lautlos gleiten wir mit unseren Elektro-Außenborder aus den Boxen und im Vorhafen gehen leise die Segel hoch. Es ist immer wieder ein Genuss, ohne knatterndem Außenborder abzulegen, während der Rest des Hafens noch in gänzlicher Ruhe liegt. Die Morgenstimmung ist wie am ersten Tag etwas Besonderes. Wir beide genießen die Ruhe auf der Elbe und geben uns unseren eigenen Tagträumen hin. Langeweile empfinden wir dabei nie, immer gibt es etwas am Ufer oder auf dem Wasser zu entdecken. Eine erste Erholung macht sich bemerkbar. Nur selten müssen wir die Segelstellung an den Verlauf des Fahrwassers anpassen und auf dem ganzen Kurs wird kein einziges Manöver gefahren. Am frühen Nachmittag erreichen wir den Yachthafen von Cuxhaven und anschließend haben wir noch Zeit für eine Stadterkundung. Der Abend klingt bei einem gemeinsamen Abendessen mit guten Freunden aus. Mit dabei sind Björn und Detlef. Beide sind sehr segelerfahren und haben den Schlag nach Helgoland mit ihrem Klassiker „Arvon“ schon häufiger gemacht. Zusammen mit ihnen überlegen wir, wie unsere Fahrt über Helgoland verlaufen könnte. Den Wetterprognosen nach wird es in zwei Tagen am späten Vormittag gut möglich sein. Somit bleibt uns Zeit, Cuxhaven noch ausführlicher kennenzulernen und auch ein Bad in der Nordsee zu nehmen.

Cuxhaven, 03.08.2022

Aber es kommt mal wieder alles anders. Am nächsten Tag meldet sich Detlef per Telefon und offenbart uns, dass seiner Meinung nach nur noch ein Start am Abend mit einer Nachttour möglich sei. Der Wind werde im Verlauf des nächsten Tages von Süd auf Nordwest drehen und damit für uns ungünstig stehen. Außerdem soll er auffrischen, sodass wir mit den kleinen Booten auf der offenen See nichts mehr zu suchen hätten. Wir sitzen gerade im Café und haben damit die schon übliche Umgebung für unsere Planänderungen. Gemeinsam wägen wir unsere Bedenken und Vorteile ab. Keiner von uns beiden hat jemals einen Nachttörn unternommen. Beide segeln das erste Mal mit einer Hansa-Jolle auf der offenen See. Aber irgendwann muss einmal das erste Mal sein und so bereiten wir uns gründlich auf die Nachtfahrt vor. Wir sind ausgeruht, haben genügend Proviant an Bord, alles ist seefest verstaut, die Karten, der Kompass und warme Kleidung iegen griffbereit. Kurz vor der Abfahrt wird ein letztes Mal die Wettervorhersage überprüft und die laut KVR für kleine Boote bis 7 Meter benötigte elektrische Lampe zur Beleuchtung des Segels bei Annäherung kontrolliert. Alles ist fertig und mit einem etwas mulmigen, aber auch erwartungsvollem Gefühl im Magen legen wir um 19.30 Uhr ab. Manch einer der Besatzungen auf den großen Yachten schaut uns irritiert hinterher, dass zwei so kleine Boote bei ablaufendem Wasser den Hafen verlassen und damit nur Richtung offene See fahren können. Wir lassen uns nicht verunsichern und finden uns bereits kurze Zeit später auf Höhe der Kugelbake in der Außenelbe wieder. Ein letztes Foto von dort wird als Beweis für unser Auslaufen an unsere Freunde verschickt. Zunächst müssen wir unter Motor außerhalb des Fahrwassers am grünen Tonnenstrich entlang fahren. Nach der ersten größeren Biegung südlich von Gelbsand können wir dann endlich die Segel setzen und mit ein paar Schlägen neben dem Fahrwasser aufkreuzen. Unser Plan ist es, auf der Höhe der Bake Z die Fahrwasserseite zu wechseln und von dort aus Kurs 310 Grad auf Helgoland zu nehmen. Bis hierhin klappt alles hervorragend. Die Sonne geht als glutroter Ball langsam über der Nordsee am fernen Horizont unter und wir segeln bei sehr moderaten Bedingungen an Neuwerk, Scharhörn und dem alten, stillgelegten Leuchtturm Großer Vogelsand vorbei. Voraus auf unserem Kurs liegt das Behördenschiff „Neuwerk“ vor Anker. Gespannt beobachten wir, ob von dort eine Rückmeldung erfolgt oder ob wir gar in irgendeiner Form kontrolliert werden. Aber an Bord rührt sich nichts. Nur die Decksbeleuchtung wird bei den nun stetig dunkler werden Lichtverhältnissen angeschaltet. Beruhigt setzen wir unseren Weg fort und suchen so langsam eine Lücke in der nicht abreißenden Kette von Berufsschiffen, um das Fahrwasser zu kreuzen. Uns scheint, dass sich an diesem Abend alle gegen uns verschworen haben. So viel Verkehr haben wir die ganze Zeit noch nicht auf der Elbe erlebt. Keine Lücke bietet sich an. Somit treiben wir immer noch auf der grünen Seite mit dem weiterhin ablaufendem Wasser Richtung Bake Z. Gerne würden wir rechtzeitig davor wechseln, um gar nicht erst in die Nähe des sich anschließenden Verkehrstrennungsgebietes zu geraten. Nach längerer Zeit scheint sich dann endlich eine Lücke aufzutun, die für unsere Querung ausreichend groß genug ist. Zur Unterstützung lassen wir beim senkrechten Queren des Fahrwassers unsere Außenborder mitlaufen, um zügig den Bereich wieder verlassen zu können. Wie wichtig dies für uns ist, merken wir nach ungefähr einem Drittel der Strecke. Die zwei schummrigen Lichter, die vor kurzem noch ganz weit weg auf der grünen Fahrwasserseite schienen, entpuppen sich als Dampferlichter eines ausgewachsenen Containeriesen. Erschrocken stellen wir fest, wie schnell sie sich wirklich nähern. Mit der vollen Kraft der Außenborder machen wir uns aus dem Staub auf die andere Seite. Fasziniert registrieren wir, wie anders die Wahrnehmung bei Dunkelheit ist und wie umsichtig und vorsichtig man gerade in diesem Gewässer navigieren muss. Es war keine bedrohliche Situation und die Entfernungen waren ausreichend, trotzdem sieht es gespenstisch aus, wenn sich aus der Dunkelheit so ein großer Bug schält. Ich fühle mich an den Vorspann aus dem Film „Das Boot“ erinnert. Auf der anderen Fahrwasserseite konnten wir die Außenborder wieder hochklappen. Eigentlich sollten uns die Segel nun weiter Richtung Helgoland ziehen. Erst jetzt bemerken wir, dass der Wind inzwischen fast gänzlich eingeschlafen ist. Ölig wabert die Wasseroberfläche um uns herum. Der nur spärlich vorhandene Wind kräuselt kaum das Wasser und schiebt uns nur noch mit etwa einem Knoten, was aber genau der inzwischen entgegenlaufenden Tide entspricht. Somit fahren wir quasi auf der Stelle und bewegen uns keinen Meter in Richtung Helgoland fort. Dies tut unserer guten Laune keinen Abbruch. Nah beieinander unterhalten wir uns von Boot zu Boot und beobachten die um uns herum fahrenden Fischer. Wenn ein fremdes Boot unserem Kurs einmal näher kommt, leuchten wir mit den Lampen in die Segel, um auf uns aufmerksam zu machen. Ein Fischer vergewissert sich mit seinem starkem Suchscheinwerfer und leuchtet uns einmal komplett aus. Danach ist wieder Ruhe und wir genießen die aufkommende Nacht, die nur von den regelmäßigen Lagemeldungen aus dem Handfunkgerät unterbrochen wird. Irgendwann macht mich ein Funkspruch stutzig, da in englischer Sprache von zwei kleinen Segelbooten die Rede ist. Den Rest habe ich aber leider nicht verstanden. Die können doch nicht uns meinen, und dann noch auf Kanal 16? Doch zehn Minuten später werde ich eines Besseren belehrt. Mit einem zweiten Aufruf meldet sich erneut Cuxhaven Elbe Traffic. Übersetzt erklingt die klare Aufforderung „Die zwei kleinen Segelboote nahe Leuchttonne 8, Cuxhaven Elbe Traffic, Kanal 16“. Nervös sortiere ich mich und das Funkgerät und melde mich auf Kanal 16. Der Wachhabende vergewissert sich, ob wir wirklich die zwei kleinen Segelboote an der Tonne 8 sind und fordert uns auf, zum Kanal 71 zu wechseln. Gespannt melde ich mich dort wieder und erfahre, dass wir als unbeleuchtete Boote aufgefallen seien. Dass laut KVR Boote unter 7 Meter keine festmontierten Positionslichter brauchen und ein starkes, elektrisches Licht zum Beleuchten der Segel bei Annäherung führen dürfen, musste der Wachhabende auf meinen Hinweis hin zunächst in den Unterlagen überprüfen. (Siehe Erläuterung am Ende des Artikels) Nach zehn Minuten Wartezeit meldet er sich wieder, hat den Passus gefunden und wünscht uns freundlich eine gute Fahrt. Ich bedanke mich mit dem üblichen Gruß für eine gute Wache. Somit sind nun wir nun augenscheinlich regelkonform unterwegs und genießen eine wirklich mystische Nacht. Die Bugwellen unserer Boote, die mit dem auffrischendem Wind wieder Fahrt aufnehmen, und auch unsere Hände im Wasser umspielt die ganze Zeit ein neongrünes Meeresleuchten der phosphoreszierenden Algen. Über uns leuchtet ein Sternenhimmel, wie wir ihn zuvor noch nie gesehen habe. Beide sitzen wir ergriffen in unseren kleinen Nusschalen und staunen, was die Natur so alles geschaffen hat. Diese Nachtfahrt möchten wir im Nachhinein auf keinen Fall mehr missen.

Trotz der Weite lässt uns die Zivilisation nicht los. Um uns herum hören wir beständig die Motoren und Aggregate der Fischer und Schiffe in der Außenelbe. Am Horizont erscheint sehr bald der erste Schein des Leuchtturms von Helgoland. Auf dem Weg nach Helgoland passieren wir eine Reede von kleinen und großen Berufsfahrzeugen. Schon erstaunlich, wie viele Schiffe hier auf die Einfahrt an die deutsche Küste warten. Am östlichen Horizont macht sich der allererste Lichtschein der Sonne bemerkbar und ganz langsam wird aus dunkler Nacht ein traumhafter Morgenhimmel. Beständig können wir auf den Leuchtturm von Helgoland zuhalten und brauchen weder Kompass noch Karte, um sicher navigieren zu können. Nur ganz langsam werden die ersten Spitzen des „Rote Felsen“ sichtbar und taucht nach und nach mit seinen Umrissen aus dem Wasser auf. Auch wenn wir den Leuchtturm bereits lange vorher sehen konnten, braucht es doch noch sehr lange Zeit, bis wir in der Nähe von Helgoland sind. Nach mehr als dreizehn Stunden Fahrzeit werden wir im Nord-Ost-Hafen freundlich morgens um 09.00 Uhr empfangen. Die zwei kleinen, gleich aussehenden Boote fallen im erstaunlich großen Hafenbecken sofort auf. Ein freundlicher Segler weist uns direkt in zwei freie Boxen ein und nimmt die Festmacher entgegen. Ein Service, den man als Einhandsegler zu schätzen weiß. Die Boxen sind für große Boote ausgelegt und so legen wir uns platzsparend innerhalb einer Box ins Päckchen. Erfahrungsgemäß ist der Platz auf Helgoland Mangelware. Etliche Segler sprechen uns an, wie wir mit den Hansa-Jollen nach Helgoland gekommen seien. Einige halten uns beide für verrückt, andere erzählen von eigenen Abenteuern auf der Überfahrt, aber alle erfreuen sich an den beiden Hansa-Jollen im Hafen. Zwei Nächte sind für die Insel eingeplant. Ein Rundgang auf dem Klippenweg zur langen Anna und ein Bummel entlang der bunten Hummerbuden am Hafen gehören selbstverständlich zum touristischem Pflichtprogramm. Aber auch die Erholung nach der langen Überfahrt darf nicht zu kurz kommen. Die gegenüber der Hauptinsel liegende Düne mit den einsamen Sandstränden lädt zum Dösen, Lesen und Schwimmen bei bestem Wetter ein.

Helgoland, 06.08.2022

Am geplanten Abfahrtstag kommt der Wind zwar aus der richtigen Richtung, wird mit 4 bft, in Böen bis 5 bft für uns und unsere Boote aber anspruchsvoll. Wir nehmen unsere ursprünglichen Vereinbarung wieder ernst und planen erneut um. Die Abfahrt wird einfach um einen Tag verschoben bei dann passenden und moderaten Bedingungen. Um 11.00 Uhr ziehen wir im Hafen die Segel hoch und bei einer herrlichen Backstagbrise liegt bald der Kurs auf die Ansteuerungstonne vorm Rütergat an. Gerne möchten wir die Insel Föhr erreichen und dort unseren Hansa-Jollen Freund Nils besuchen. Die Ankunft ist für den Abend berechnet. Sollte die Überfahrt doch länger dauern, könnten wir auf Höhe von Amrum abbiegen und bei Hochwasser dort in den trockenfallenden Hafen einlaufen. Aber alles passt perfekt und um kurz vor 21.00 Uhr nimmt Nils mit einem kaltem Anlegebier und einer warmen Mahlzeit ausgerüstet unsere Festmacher entgegen. Am nächsten Tag zeigt er uns seine Insel in allen Details. Mit seiner fachkundigen Führung fühlen wir uns bereits nach kurzer Zeit fast wie Insulaner. Endlich sind wir in unserem Sehnsuchtsziel nordfriesische Inseln angekommen. Alles scheint hier langsamer und entspannter abzulaufen. Lärm und Hektik sind auf den Inseln und Halligen Fremdwörter. Wir genießen es und passen uns dem langsamen Takt an. Die großen Schläge haben wir erfolgreich hinter uns gebracht und die zukünftigen Tagesetappen werden nur einen Bruchteil ausmachen. Nur am Schluss des Törns für den Weg in die Eider werden wir wieder einen weiten Weg zurücklegen müssen. 

Amrum, 09.08.2022

Von Föhr aus ist Amrum unser nächstes Ziel. Da Klaus in seiner Jugend immer wieder die Familienferien auf der Insel verbracht hat, wollen wir uns einen zusätzlichen Tag Zeit nehmen, um die gesamte Insel zu entdecken. Eine ausgiebige Wanderung zu dem sehr breiten und weitläufigen Kniepsand führt uns zunächst durch malerische Dünen und auf einsamen Wanderwegen über Holzbohlen zum Meer. Die Seeseite zeigt sich eher als rauhe und windzerzauste Küste der Insel. Ganz im Gegensatz dazu erleben wir den Wanderweg an der Wattseite in der untergehenden Abendsonne als besonders lieblich. Der Leuchtturm der Insel ist den ganzen Tag ein zuverlässiger Wegweiser. Er ist von den meisten Orten aus gut zu sehen. Mit seinem hellem Leuchtfeuer am Abend ist er ein besonders schöner Anblick. 

Am nächsten Morgen sind wir beide unerwartet früh und auch zur gleichen Zeit auf unseren Booten wach. Der gewohnte Blick in die Wetter-App verheißt für den übernächsten Tag mal wieder einen unerwarteten Winddreher und damit Wind gegenan auf unserer geplanten Route. Mit einem kurzen Blick verständigen wir uns und schmeißen alle Pläne über Bord. Nach kurzer Zeit sind die Boote vorbereitet und einen Tag früher als vorgesehen verlassen wir die Insel. Das Wetter ist und bleibt zusammen mit den wechselnden Tiden der bestimmende Faktor in diesem Revier.

Hallig Hooge, 10.08.2022

Waren wir bisher nur auf Inseln zu Gast, steht für beide ein erster Besuch einer Hallig an. Im Unterschied zu den Inseln sind diese nicht durch bauliche Maßnahmen, wie zum Beispiel einem Deich, vor Überflutung geschützt. In der Sturmsaison werden sie regelmäßig durch das Meer überflutet und die Bewohner melden dann „Landunter“. Die Häuser sind auf Warften höher gebaut und widerstehen dadurch den Wassermassen. Die Einfahrt zum Hafen von Hallig Hooge ist selbst für unsere kleinen Boote ein Abenteuer. Das Schutztor ist gerade mal 4,80 Meter breit. Wenn man zügig darauf zu fährt, kommt es einem von weitem viel zu eng vor. Natürlich passt alles und schnell sind mit Hilfe des Hafenmeisters zwei Plätze für die Boote gefunden. Auf Hallig Hooge erkundigen Klaus und ich uns im Inselmuseum über das Leben und Überleben auf den Halligen. In einem aktuellen Dokumentarfilm zeigt die Halligbewohnerin Swantje Boyens einen Einblick in ihr Halligleben und den besonderen Situationen, an denen die Warften wie Inseln aus dem Meer herausschauen. Als wir nach dem Film wieder draußen in die Sonne blinzeln, können wir uns diese Situationen im Moment kaum vorstellen. Man muss es wohl selber einmal live erleben. Gestärkt mit Kaffee und der inzwischen obligatorischen Torte im Inselcafe auf der größten Warft, der Hanswarft, umrunden wir zu Fuß einen Großteil der Insel und genießen die Ruhe und die frische Luft. Als wir anschließend zu den Booten zurückkommen, entdecken wir beide ein neues Problem. Den Platz, den uns der Hafenmeister wegen der Bodenbeschaffenheit empfohlen hat, liegt leider nicht in Reichweite einer Leiter. Inzwischen fehlen drei Meter Wasser, die Boote liegen fest und sicher im Schlick. Trotz unserer Erfahrungen aus der Tour zu den ostfriesischen Inseln haben wir diesmal im ersten Hafen ohne Schwimmsteg unsere Hausaufgaben nicht vollständig erledigt. Die Leinen waren lang genug und die Boote damit auch sicher auf den fallenden Wasserstand vorbereitet. Aber an das Anbordkommen haben wir vorher nicht gedacht. Mit einer halsbrecherischen Kletteraktion hangeln wir uns auf die Boote und bauen mit der Strickleiter, die ich sonst als Badeleiter verwende, einen nutzbaren Tritt an die Pier. So geht es auch ohne feste Leiter.

Oland, 11.08.2022

Der nächster Stopp ist auf der kleinsten Hallig unserer Reise. Hallig Oland besteht aus nur einer Warft mit einer Handvoll Häusern. Zur Zeit wohnen 19 feste Einwohner dort, es gibt aber zusätzlich 45 Gästebetten. Selbst wenn diese ausgebucht sind, spürt man auf der Hallig kaum etwas davon. Der Hafen auf Oland fällt bei Niedrigwasser ebenfalls trocken, sodass wir von Hooge aus mit auflaufendem Wasser ohne Schwierigkeiten in den Hafenpriel kommen sollten. Auf dem Weg stellen sich alle Überlegungen und Berechnungen als passend heraus und bereits nach kurzer Zeit und trotz abflauendem Wind liegen wir in der Nähe des Hafenpriels. Wir haben mehr als genug Zeit und können es langsam angehen. Der Wind schläft zum Schluss sogar ganz ein und die Sonne brennt heiß und erbarmungslos vom Himmel. Kurzerhand binden wir beide Boote nebeneinander fest und lassen sie einfach treiben. Ausgiebig wird im Wattenmeer gebadet und dabei unsere Boote umrundet. Aus dieser ungewohnten Perspektive sehen selbst die kleinen Hansa-Jollen ungewohnt groß und lang gestreckt aus. Im fast leeren Hafen von Oland können wir an einem einzelnen Steg festmachen. Die immer wärmer werdenden Nachmittagssonne treibt uns von den Booten zur Mitte der Hallig. Die meisten der Häuser stehen rund um den zentralen Dorfplatz um einen Süßwasserteich herum. Beim Spaziergang finden wir in einem Gartencafé ein idyllisches und schattiges Plätzchen unter Apfelbäumen, es gibt Kuchen, Eis und eine große Kanne Tee. Dies wird für den restlichen Nachmittag unser Platz zum Lesen und Genießen. Die Ruhe und Beschaulichkeit dieser Hallig beeindruckt uns nachhaltig und ist für mich ein besonderes Highlight dieser Reise. Erst als das Café schließt und die Besitzerin uns höflich zum Zahlen auffordert, verlassen wir diesen netten Ort. Die besondere Stimmung verfolgt uns bis zum Abend in der untergehenden Sonne. Der Rückweg führt uns am kleinsten Leuchtturm der deutschen Küste vorbei zurück zu den noch trockenliegenden Booten. Schnell ist der Optimuskocher angeschmissen und es gibt Bratkartoffeln mit eingelegtem Brathering aus der eigenen Kombüse. Auch wenn die Hansa-Jolle klein ist, eine Kochkiste darf auf so einem Törn nicht fehlen. Zum Schluss wird noch heißes Wasser für den Tee für den kommenden Morgen bereitet. Die Nacht wird kurz, die Tide legt unsere Startzeit auf 02.30 Uhr fest.

Pellworm, 12.08.2022

Geplant ist ein kurzes Stück mit ablaufendem Wasser zurück in die Nähe von Hooge zu fahren, um uns dort vor Anker zu legen. Nach dem Kippen der Tide wollen wir entlang des Prickenweges zwischen Hooge und Pellworm dort in den Hafen segeln. Auch diesmal genießen wir die Nachtfahrt. Der Vollmond lässt die Pricken des Hafenpriels von Oland gut ausmachen und bei Unsicherheiten haben wir noch genügend Wasser unter dem Kiel, um nicht direkt aufzulaufen. Konzentriert hangeln wir uns von Pricke zu Pricke, immer wieder gespannt darauf, wo die nächste auszumachen ist. Im Gegenlicht des Mondes ist dies kein Problem, aber sobald der Weg einen Knick macht, müssen wir uns doch mit einer starken Taschenlampe orientieren. Nachdem an der Doppelpricke der Übergang zum Fahrwasser geschafft ist, sind wir beide ein wenig beruhigt und genießen das nächtliche Segeln noch mehr. Eine rote Leuchttonne weist uns den weiteren Weg. Nur zum Schluss wird es noch einmal in einer Engstelle zwischen zwei Sänden spannend, da dort keine beleuchteten Tonnen liegen. Aber das erste Dämmerlicht des Morgens hilft uns bei der Orientierung. Noch vor Sonnenaufgang fallen die Anker außerhalb des Fahrwassers am Prickenweg Richtung Pellworm. Jetzt haben wir rund fünf Stunden Zeit, um auszuruhen und auf den Tidenwechsel zu warten. Bei unserem minimalen Tiefgang von 50 cm müssten wir etwa anderthalb Stunden nach Niedrigwasser in den ausgeprickten Wattenweg einlaufen können. Wir genießen noch den Sonnenaufgang und erholen uns mit einem kleinen Schläfchen auf den sanft schaukelnden Booten. Pünktlich laufen wir danach in den Prickenweg ein. Die Überlegungen passen und wir haben bei der Passage nur einmal kurzen Grundkontakt. Ein kurzes Heben des Schwertes reicht, um den Tiefgang ausreichend zu verringern. Dafür bekommen wir ganz andere Schwierigkeiten. Der Wind, bisher ein zuverlässiger Partner für uns, schläft im Laufe des Tages komplett ein. Das Wasser zeigt sich glatt, keine Welle kräuselt mal wieder die Oberfläche. Nur der Elektro-Außenborder kann uns noch voranbringen. Bei den noch verbleibenden Seemeilen wird dies ein Rechenspiel. Leider haben wir auf Oland unsere Batterien nicht nachgeladenen. Dies wird uns jetzt zur Falle. Die Fahrt darf nicht zu zügig sein, um nicht zu schnell die Kapazität der Batterie zu verbrauchen, aber auch nicht zu langsam, da der Hafen von Pellworm ebenfalls trockenfällt und wir dann zu wenig Wasser unterm Kiel hätten. Die Sonne brennt unerbittlich auf uns herab und wir tasten uns unter Motor Meter für Meter voran. Die ganze Zeit liegt Pellworm an unserer Steuerbordseite quasi in Griffweite und doch ist es noch so weit bis zum Hafen. Spät kommt eine leichte Brise auf und die Segel unterstützen den bereits arg geleerten Akku. Es ist klar, dies wird heute eine knappe Angelegenheit. Sowohl das fehlende Wasser, als auch die niedrige Restkapazität der Akkus lassen unseren Puls noch oben steigen. Am Beginn des Hafenpriels werden uns nur noch 30 Minuten Restlaufzeit auf unseren Displays angezeigt. Aber zusätzlich drückt nun auch das ablaufende Wasser entgegen. All das macht uns schließlich einen Strich durch die Rechnung und die Motoren quittieren ihren Dienst. Schnell gleite ich mit dem restlichem Schwung aus dem Fahrwasser heraus und schmeiße dort am Rand den Anker. Klaus kann mit dem Paddel sein Boot längsseits bringen und so hängen wir in Sichtweite des Hafens im Päckchen an meinem Anker. Gedanklich richten wir uns gerade für die Nacht ein und sortieren unsere Lebensmittelvorräte, da kommt noch ein letztes Motorboot den Priel entlang Richtung Hafen. Ein Wink mit der Schleppleine wird sofort registriert und trotz weiter fallendem Wasserstand nimmt uns die Crew der „Flip“ routiniert auf den Haken. Wie sich später herausstellt, ist unser Retter Arno einer der Fähr-Kapitäne. Besonders sachte und materialschonend zieht er vorsichtig an und bugsiert uns bis an den Steg. Dies war keinen Moment zu spät, denn mit einem kräftigen Zug an der Vorleine werden wir von einem weiteren Einheimischen durch den Schlick bis an den Steg herangezogen. Keine fünf Minuten später sind die Boxen trockengefallen und wären damit für uns nicht mehr erreichbar. Nachdem wir unsere Boote klariert haben, gehen wir direkt zur Box des Motorbootes. Leider ist die Crew der „Flip“ schon von Bord, sodass wir uns nicht persönlich bedanken können. Wir klemmen unseren Dank zusammen mit einer kurzen Nachricht hinter die Scheibe des Bootes. Erschöpft nach diesem ereignisreichem Tag fallen wir nach einer Dusche und einem kalten Anlegebier in die Koje. Für uns ist klar, hier bleiben wir auf jeden Fall zwei Nächte, um uns auszuruhen.

Mit dem Rad umrunden wir am nächsten Tag die Insel. Vorbei an den kleinen, idyllischen Häusern und Bauernhöfen führt uns der Weg zur alten Kirche St. Salvator. Die Kirche selber und auch die Turmruine sind auf jeden Fall einen Besuch wert. Im kühlem Inneren der Kirche schauen wir uns um und sind fasziniert von der nordischen Gestaltung. Gerne hätten wir die Arp-Schnittker-Orgel einmal angehört, aber ein Konzert ist leider in den nächsten beiden Tagen nicht zu bewundern. Dafür gibt es in unmittelbarer Nähe mit dem „Strandcafe“ ein nächstes Ziel. Im Gespräch mit der sehr netten Wirtin stellen wir fest, dass sich unsere Geschichte mit dem Abschleppen bereits bis hierhin herumgesprochen hat. Unser Held des Vortages ist ihr Nachbar und so konnten wir doch noch direkten Kontakt mit ihm aufnehmen.

Husum, 15.08.2022

Am letzten Abend checken Klaus und ich die Wettervorhersagen, um den Plan rund um die Halbinsel Eiderstedt für den Weg in die Eider abzustecken. Der Wind soll tagsüber einschlafen und zum Abend hin aus nordöstlicher Richtung langsam wieder zunehmen. Das bedeutet für uns im ersten Teil keinen Wind zu haben und nach dem Kippen der Tide den Wind genau von vorne zu bekommen. Dazu wäre es eine Konstellation Wind gegen Strom. Es spricht also alles dagegen, diese Tour morgen zu machen. Aber auch in den nächsten zwei Tagen soll sich an dieser Konstellation nichts ändern, es bleibt für uns unpassend. Unseren Zeitplan für die Route zur Eider und anschließend in den Nord-Ostsee-Kanal können wir damit vergessen. Also alles wie gehabt, das Wetter bestimmt die Planung und damit für uns ein neues Ziel. Wenn der große Schlag außen herum um Eiderstedt nicht klappt, bleibt nur der kürzere und geschützte Schlag über die Hever nach Husum. Damit haben wir zwar auch ein wenig Wind gegenan, aber im geschützten Bereich des Heverstroms zwischen Nordstrand und Eiderstedt wird dies nicht zu einer sportlichen Herausforderung und wir können im Fahrwasser gut aufkreuzen. Husum bietet für uns zudem die Möglichkeit, unsere Hansa-Jollen mit einem Kran aus dem Wasser zu heben, um sie dann auf dem Landweg zu unseren Zielen zu bringen. Die Strategie mit ablaufendem Wasser auszulaufen und nach einer Pause vor Anker das Kippen der Tide abzuwarten, können wir auch hier wieder für uns nutzen. Mit dem ersten Morgenlicht verlassen wir den Hafen von Pellworm und genießen es, alleine auf dem Wasser zu sein. Vor Anker gesellt sich ein weiteres, größeres Boot zu uns. Offensichtlich werden wir gemeinsam lossegeln, sein Heimathafen Nordstrand prangt am Heck des Bootes. Geschützt hinter dem Südwest-Zipfel des Heeversteert-Sandes genießen wir die letzte Zeit vor Anker. Dies sind immer besondere Momente. Das Wasser gurgelt unter dem Boot durch und eine leichte Dünung versetzt es ins Schaukeln. Der Blick aufs Wasser wird nie langweilig, sodass das mitgenommene Buch weiterhin ungelesen im Seesack bleibt. Irgendwann wird der Ebbstrom merklich geringer, das Boot fängt an, um den Anker zu schwoien, bis es letztendlich fast ganz herumschwingt. Nur der stetig mehr werdende Wind verhindert, dass sich die Hansa-Jolle ganz nach der Strömung ausrichtet. Auf beiden Booten werden zügig die Segel gehisst, die Anker gelichtet und Kurs auf Husum genommen. Die Zeitreserve bis zum Hochwasser in Husum ist groß, sodass wir den kompletten Weg aufkreuzen können. Vorsichtig tasten wir uns an beiden Seiten über den Fahrwasserrand hinaus, um die gesegelten Bahnen zu verlängern. Aber selbst wenn es mal knapp würde und wir kurz auflaufen, mit der steigenden Tide kämen wir auf jeden Fall wieder frei. So geht es Meile um Meile in den Trichter vor Husum hinein. Ich merke dabei, dass mir Klaus mit seiner Hansa-Jolle nach jeder Wende immer weiter davoneilt. Irgendetwas stimmt mit meinem Boot nicht. Ich habe das Gefühl, einen Treibanker hinter mir herzuziehen. Längere Zeit überlege ich, was anders ist als vorher. Das einzige, was mir einfällt, ist tatsächlich mein Anker. Nach dem Heben habe ich ihn mitsamt Kette und Eimer direkt am Anfang der Kajüte auf den Boden gestellt. Ich erinnere mich an die mahnenden Worte eines Begleiters der Regatta auf der Alster. Einige Hansa-Jollen hätten einen falschen Gewichtstrimm und das Heck würde sich dadurch festsaugen. Liegt es vielleicht daran? Kurzerhand drehe ich bei und verstaue das komplette Ankergeschirr wie gewohnt vorne im Bug. Diesmal traut Klaus seinen Augen nicht. Nach jeder Wende komme ich auf und überhole ihn schließlich. Ich bin erstaunt, wie man mit kleinen Änderungen den Trimm doch deutlich beeinflussen kann. Gemeinsam geht es weiter auf unserer letzten Kreuz. Im Modersloch vor der langen Hafeneinfahrt von Husum nehmen wir die Segel herunter. Ein weiters Aufkreuzen in der engen Einfahrt macht einfach keinen Sinn. So motoren wir zum Abschluss unserer Nordfriesland-Tour in den Hafen des Husumer Segler-Vereins hinein. Ein bisschen Wehmut klingt mit, als wir zuerst das Sperrwerk und dann die großen Silos mit den Hafenkränen passieren. Zum einen ist damit unsere Fahrt endgültig zu Ende. Zum anderen habe ich mein Boot vor Jahren in Husum von einem alten Fischer gekauft. Eigentlich wollte ich diese Tour schon viel früher machen, um ihm das Boot nach den diversen Arbeiten vorzuführen. Leider ist Dirk aber bereits vor zwei Jahren verstorben. Im Hafen am Rödemiser Priel werden wir sehr herzlich vom Takelmeister des HSrV in Empfang genommen. Ganz begeistert zeigt er sich von unserer Fahrt über Helgoland bis hierhin zu seinem Club. Sein Interesse an den A&R-Booten ist groß, hat er selber doch etliche Unterlagen zur Werft bei sich zu Hause. Auch kannte er den Vorbesitzer meiner Hansa-Jolle gut und konnte mir noch einiges über Dirk erzählen. Wir werden von ihm während unserer Zeit in Husum vollständig umsorgt mit Tipps und Hilfen. In der Kategorie „freundlichster Hafenmeister“ ist Jörgen ganz oben auf unserer Liste. 

Der Abschluss unserer Reise ist dann schnell und unkompliziert erzählt. Am nächsten Tag reisen wir von Husum aus mit der Bahn zu unseren Autos und holen damit die Trailer ab. Jörgen vermittelt uns den Kontakt zum pensionierten Kranführer der Genossenschaft. Es ist schon ein interessantes Bild, die kleinen Boote an dem riesigen Hafenkran hängen zu sehen. Innerhalb einer halben Stunde liegen beide Hansa-Jollen sicher auf dem Trailer. Mit einem Krabbenbrötchen gestärkt heißt es dann Abschied nehmen. Klaus fährt mit seiner Hansa-Jolle zu den GermanClassics 2022 vom Freundeskreis klassischer Yachten in Laboe. Und ich bringe mein Boot ins Heimatrevier an die Oste zurück. Eigentlich wollten wir dies ja auf dem Wasserweg erledigen. Aber das ist das schöne an der kleinen und feinen Hansa-Jolle, eine Planänderung ist kein großes Problem.

Insgesamt können wir nur schwärmen, tolles Revier, tolle Menschen und ganz viel Ruhe. Wenn man ein paar Dinge wie beschrieben beachtet, ist diese Gegend gerade auch mit kleinen Booten lohnenswert. Es muss ja nicht unbedingt Helgoland sein! Die Nachtfahrten und der Besuch auf Oland waren für mich die beiden Highlights dieser Reise. Ich werde mit Sicherheit für beides Wiederholungstäter.

Nachtrag Beleuchtung

Der Funkkontakt mit Cuxhaven Elbe Traffic und die Frage zur richtigen Beleuchtung bei Nachtfahrt hat noch zu mancher Diskussion im Freundeskreis und auch im Internet geführt. Ich habe mit meiner Einschätzung, dass ein elektrisches Licht zum Beleuchten des Segels ausreicht, nicht recht. Zwar steht in der Regel 25 Absatz d) der Kollisionsverhütungsregel (KVR):

„Ein Segelfahrzeug von weniger als 7 Meter Länge muß, wenn möglich, die unter Buchstabe a oder b vorgeschriebenen Lichter führen; andernfalls muß eine elektrische Lampe oder eine angezündete Laterne mit einem weißen Licht gebrauchsfertig zur Hand gehalten und rechtzeitig gezeigt werden, um einen Zusammenstoß zu verhüten.“

Dies gilt in internationalen Gewässern, wenn keine darüber hinausgehenden nationalen Regelungen bestehen. Und genau das ist hier der Fall. Für den Bereicht der Elbe, sowohl innerhalb als auch außerhalb des Fahrwassers, gilt die Seeschifffahrtsstraßen-Ordnung (SeeSchStrO). Hier ist im §10 Abs 3 eine eine schärfere Regelung festgelegt, die über der KVR hinausgeht:

„Fahrzeuge im Sinne des Absatzes 2, auf denen die hiernach vorgeschriebenen Lichter, und Maschinenfahrzeuge von weniger als 7 Metern Länge, auf denen die nach Regel 23 Buchstabe a und d der Kollisionsverhütungsregeln vorgeschriebenen Lichter nicht geführt werden können, dürfen in der Zeit, in der die Lichterführung vorgeschrieben ist, nicht fahren, es sei denn, dass ein Notstand vorliegt. Für diesen Fall ist eine elektrische Leuchte oder eine Laterne mit einem weißen Licht ständig gebrauchsfertig mitzuführen und rechtzeitig zu zeigen, um einen Zusammenstoß zu verhüten.“

Zusammengefasst bedeutet dies für unseren Fall: Wir hätten unter Segeln mindestens ein weißes Rundumlicht führen müssen. Unter Motor zumindest eine Dreifarbenlaterne im Top. Da wir beides nicht hatten, gilt für uns ein Nachtfahrverbot. Ich habe mir nun ein batteriebetriebenes LED-Licht für die Mastspitze bestellt, das zum einen mit einer Solarzelle immer wieder geladen wird und zum zweiten mit einer kleinen Fernbedienung von unten geschaltet werden kann. Damit kann das Licht vor einer Nachtfahrt im Top montiert und dann von unten geschaltet werden. Ich bin gespannt.

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